18. Januar 2016 Johannes Wolters

„Gute Animationsprojekte entstehen aus Visionen und nicht aus Geschäftsmodellen“ – INDAC-Interview mit Studio Film Bilder-Leiter Thomas Meyer-Herrmann

Thomas Meyer-Herrmann ist der erfolgreiche Leiter des Studio Film Bilder in Stuttgart. Die Biographie des geborenen Kölners findet sich auf der Webseite seines Studios, auch die Erfolgstory des 1989 in Stuttgart gegründeten Trickfilmstudios läßt sich dort sehr schön nachvollziehen. Für INDAC nahm sich der vielbeschäftigte Produzent und Regisseur, der einer bestimmten Trickfilmfigur seines Studios verblüffend ähnlich sieht, die Zeit für ein Interview.
(TMH: Thomas Meyer-Herrmann – JW: Johannes Wolters)

JW: Hallo Thomas, wie geht es Dir?

TMH: Gut geht’s, danke!

JW: Wobei störe ich dich gerade?

TMH: Du störst natürlich nicht. Aber wir hatten gerade unsere Story-Konferenz der Patchwork Pals.

JW: Das ist noch mal was?

TMH: Die Patchwork Pals sind eine Serie für kleine Kinder von Angela Steffen.

JW: Die Regisseurin von Lebensader?

TMH: Genau, Lebensader! Wir produzieren gerade 26 Episoden à 4 Minuten – ihr Nachfolgeprojekt.

JW: Für das deutsche TV?

TMH: Für die ganze Welt. Der RBB ist auch dabei.

JW: Oha, eine internationale Produktion?

TMH: Die BBC, die skandinavischen Länder, Frankreich und viele andere sind an Bord. Das sind alles Presales. Produzent ist Studio Film Bilder allein.

Patchwork-Pals

JW: Hört sich beinahe unglaublich an? Eine komplette Serie, die allein von einem deutschen Studio hergestellt und produziert wird?

TMH: Warum ist das so unglaublich? Wir haben doch auch schon TOM gemacht, und als nächstes machen wir die ANIMANIMALS.

JW: Mir gegenüber wird hin und wieder immer erwähnt, dass es unmöglich sei, in Deutschland erfolgreich eine Serie zu produzieren – dafür hätten wir weder die Autoren noch die Facilities, um das zeitnah für die Sender herzustellen.

TMH: Das ist ein Gerücht. Wer verbreitet so etwas?

JW: Ich meine, dies von Sender-Seite mehrfach als Argument gehört zu haben, um die deutsche Beteiligung an internationalen Koproduktionen wie „Der kleine Prinz“, „Das Dschungelbuch“ und ähnliches zu begründen.

TMH: Ja, ich muss zugeben von der Senderseite habe ich das auch schon gehört. Es ist aber falsch.

JW: Inwiefern?

TMH: Am ehesten könnte man ihnen zugestehen, dass die Autorensuche nicht immer einfach ist. Darf ich die Sache mit den Facilities mal erklären? Fast alle supererfolgreichen Serien dieser Welt sind nicht gestartet, weil Facilities da waren…, sondern weil eine tolle Idee und eine Vision von der Umsetzung da war. Die Facilities bauen sich dann von ganz allein. Simpsons, Sponge Bob, Pokemon, Wallace and Gromit – all das ist in ganz kleinen Strukturen gestartet.

JW: Wie erkläre ich dies einem deutschen Fernsehredakteur? Der will die Sicherheit, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Material da ist.

TMH: Die Vorstellung, dass zuerst große, gut funktionierende Strukturen da sein müssen, ist völlig unrealistisch. Wir müssen das den Redakteuren immer wieder sagen. Die große Struktur bringt keine Sicherheit. Da gibt es genug Beispiele. Wenn der Redakteur will, dass die Serie zu einem guten Ende gebracht wird, muss er nur einen Produzenten suchen, der mit Leidenschaft sein Ding macht. Und der Produzent muss einen Autor und einen Regisseur suchen, die beide mit Leidenschaft ihr Ding machen.

JW: Tom & das Erdbeermarmeladebrot mit Honig ist nicht nur eine grandiose Serie, sie wurde von Euch inhouse gearbeitet, wie hast DU damals das Vertrauen aufgebaut, dass Studio Film Bilder dazu in der Lage war?

tomspieltkarten

TMH: Wir haben einen Film gemacht – das war der Mitspielfilm „TOM & seine Freunde“ – und damit haben wir doch schon bewiesen, dass wir es können. Wir hatten zu dem Zeitpunkt ja auch schon jede Menge erfolgreiche Musikvideos und Kurzfilme gemacht. Das meiste davon war logistisch eine größere Herausforderung als TOM.

JW: Ich frage anders, hattest Du jemals vor oder während der Produktion Zweifel, ob ihr termingerecht liefern könnt?

TMH: Nein, keine Zweifel. Die Möglichkeit einer Katastrophe sollte man nie ausschließen – aber ansonsten kann man Animation sehr gut zeitlich kalkulieren.

JW: Und für Euren Redakteur/Redakteurin gab es auch keinen leap of faith?

TMH: Unser TOM-Redakteur Benjamin Manns vom SWR war sehr intensiv in das Projekt involviert, versteht auch eine Menge von Trickfilm und hat uns sicher vertraut. Wir hatten bei TOM auch wirklich genug Zeit, übrigens.

JW: Wie früh war er in das Projekt involviert?

TMH: Benjamin hat den Mitspielfilm gesehen und uns gefragt, ob wir eine lineare Version für die Sendung mit der Maus machen könnten. Das Budget für den einen Film war dann so klein, dass wir ihn überredet haben, für ein etwas höheres Budget gleich vier Filme zu machen. Später kamen dann weitere 9 dazu, dann weitere 13, dann noch mal 26. Der Grund für das portionsweise Produzieren war immer das Geld.

JW: Autorenprobleme?

TMH: Im Fall von TOM gab es die nicht. Das ist ein Autorenprojekt von Andreas Hykade. Und Andreas war eigentlich immer Feuer und Flamme für das Projekt. Er hat das durchgezogen wie eine Lokomotive.

JW: Das Vorurteil, das es unmöglich sei, erfolgreich deutsche Trickfilm-Serien zu produzieren, wäre also wiederlegt. Bei der Vielzahl von Talenten in Deutschland ist es dann doch verwunderlich, wie wenig deutsche Serien produziert werden…

TMH: Es ist grundsätzlich schwierig, in Deutschland das Geld für ein Animationsprojekt zusammen zu bekommen. Es gibt immer Ausnahmen – aber im Allgemeinen stehen Verleiher, Sender und teilweise auch Förderer dem Medium skeptisch gegenüber. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Reale Erfolge müssen her. Ansonsten müssen Du und ich weiter auf sie einreden.

JW: Der Look von Dschungelbuch und Der kleine Prinz war in meinen Augen suboptimal, diese ausländischen Serien sind für mich eigentlich unguckbar…

TMH: Es gibt sicher auch deutsche Serien, die unguckbar sind. Aber auf jeden Fall ist hier das Potential für Gutes. Es gibt viel ungenutztes Potential in diesem Land.

JW: Was kann ich tun? Was können wir tun?

TMH: Wir müssen den Teufelskreis durchbrechen: Es wird nichts finanziert > es gibt keine florierende Produktion > es wird nichts finanziert, weil es keine florierende Produktion gibt – und so weiter. Dagegen hilft nur: Redakteure, Produzenten, Autoren und Regisseure mit Vision müssen unterstützt werden. Der Kampf ist noch lange nicht verloren!

JW: Leute mit Visionen werden bislang in Deutschland eher zum Arzt geschickt…

TMH: Ja, den Spruch kenne ich. Aber ich meine wirklich, dass Visionen vonnöten sind. Gute Animationsprojekte entstehen aus Visionen und nicht aus Geschäftsmodellen.

JW: Wie sensibilisiere ich Redakteuere, Produzenten, Förderer mehr in diesen Kategorien zu denken? Wie nehme ich denen die Ängste vor dem Projekt, mal was Neues zu wagen? Zu vertrauen?

TMH: Da ist viel Überzeugungsarbeit nötig. Aber denk mal an den Anfang unseres Gesprächs… Zeig‘ Ihnen, wie die Simpsons oder Wallace & Gromit entstanden sind! Das ist vielleicht ein Ansatz. Aus der Geschichte kann man doch was lernen.

 

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