Auch lassen die Character Arcs und die Beziehung zwischen Aladdin und Prinzessin Jasmin lassen zu wünschen übrig. Über Aladdin würde sicherlich mehr zu erzählen sein, als dass er ein Gelegenheitsdieb und charismatischer Frauenschwarm ist und über Jasmin ließe sich auch mehr erzählen, als dass Sie sich in Ihrer Rolle als Prinzessin unterdrückt und bervormundet fühlt. Tatsächlich wurde dieses Potenzial scheinbar erkannt, jedoch nur sehr schwach umgesetzt.
Bei Jasmin gab man sich mehr Mühe, indem man sie in ihrer Rolle als Frau bestärkt. Auch in diesem Film ist Jasmin eine taffe, junge Frau, die ihren eigenen Kopf hat und einer Heirat nur sehr missmütig entgegensteht. Sie möchte Sultan werden auch ohne verheiratet zu sein, denn sie ist gebildet – was sich an den Unmengen von Büchern und Manuskripten in ihren Gemächern ablesen lässt, die uns in einer Szene unter die Nase gerieben werden. Es wird versucht stereotype Rollenbilder zu brechen, was in einer Geschichte, die in einer mittelalterlichen, orientalischen Dynastie spielt, sehr unglaubwürdig und – dem heutigen Hollywood-Zeitgeist entsprechend – gezwungen und aufgesetzt wirkt.
Zusätzlich wird uns Jasmins Dienstmädchen als Comic-Relief-Sidekick vorgestellt, die der Story, abgesehen von ein paar Gags und der Rolle als Dschinnis potenziellem Liebesinteresse (ja, wirklich), nichts beiträgt.
Mena Massoud als Aladdin ist ein guter Tänzer, Sänger und Akrobat aber sowohl schauspielerisch als auch optisch ist er für mich in der Rolle auf verlorenem Posten. Von der ersten Sekunde, in der wir Aladdin sehen, störten mich die schmerzhaft offensichtlich heißgeglätteten Haare, die um jeden Preis der Frisur des originalen Aladdin gleichen sollten, und der klassisch orientalische rote Kaputzenweste (Achtung, Sarkasmus!). Eine Echthaarperrücke und ein „straßenköter“-mäßigeres Outfit hätten es auch getan.
Aladdin ist mutig, rechtschaffen und charismatisch, aber Massouds Darbietung lässt in jeder dieser Beziehungen zu wünschen übrig und wirkt weitgehend unbeholfen und trottelig, vor allem in seiner Rolle als Prinz Ali Ababwa.
Naomi Scott als Jasmin ist ebenfalls eine gute Besetzung für ein Musical, aber als optisch wäre das Dienstmädchen die klar bessere Besetzung gewesen und ich komme nicht umhin zu denken, dass ursprünglich der Plan war…
Dschafar war für mich allerdings die größte Enttäuschung. Marwan Kenzari ist jung und gutaussehend, also das komplette Gegenteil zu dem hageren Großvisir, der vom Zeichentrick-Sultan als „so alt“ bezeichnet wird, als Dschafar ihn mit dem Schlangenszepter zur Hochzeit mit seiner Tochter zu hirnwaschen versucht.
Will Smith als Dschinni war für mich nach dem ersten Trailer im Frühjahr 2019 ein absolutes No-Go, aber ich muss zugeben, dass mich die Performance überzeugt hat. Der originale Dschinni von Robin Williams bleibt jedoch ungeschlagen.
So entführt zum Beispiel Dschafar Aladdin zur Cave of Wonders – die, nebenbei bemerkt, nicht zunächst durch einen magischen Skarabäus in der Wüste zum Vorschein gebracht werden muss, sondern 24/7 in eine Bergwand in der Wüste gemeißelt ist und somit ihre Mystik verschenkt – und er erzählt ihm im Grunde seinen Plan Macht zu erlangen und den Sultan zu hintergehen. Im späteren Verlauf scheint Prinz Ali es dann nicht einmal für nötig zu befinden, wenigstes seinem Liebesinteresse, der Tochter des Sultans, von Dschafars teuflischem Plan zu erzählen. Man spart hier an der Figur des alten, knöchrigen Gefangenen (Dschafar), der Aladdin aus dem Kerker befreit und ihm den Weg zum Prinzdasein ermöglicht und schafft dadurch besagtes Problem.
Ungereimtheiten dieser Art findet man sowohl im alten als auch im neuen Aladdin, wobei man doch nun die Möglichkeit hatte, diese mit einer verbesserten, innovativen Erzählung zu beseitigen. Stattdessen bekommt man eine verschlimmbesserte Story mit mittelprächtiger Besetzung und herausragenden Visuals.