24. September 2016 Johannes Wolters

Auch in der Tiefsee wird nur mit Wasser gekocht – Die INDAChs Kritik von Norbert Kerkhey zu Pixars „Findet Dorie“

Irgendwie muss Andrew Stanton da etwas durcheinander gebracht haben. Ich bin nicht Dory, und ich habe in den vergangenen 13 Jahren seit „Finding Nemo“ eben nicht vergessen, was Dorys großes Problem ist. Auch im Kinosessel funktioniert mein Gedächtnis noch gut, so dass ich mich ganz deutlich daran erinnere, gefühlte drei Mal pro Minute von Dory oder einem ihrer Filmpartner daran erinnert zu werden, dass Dory unter Gedächtnisschwund landet, obwohl ich es doch weiß. Das ist genau 5 Minuten lang witzig, danach wird es nervig, und am Ende des Films geht diese Endlos-Wiederholung des immer gleichen Patterns zumindest mir gewaltig auf den Geist.

Zumal sich das Gefühl einstellt, dass Dorys Gedächtnisschwäche der einzige strukturelle Drehbucheinfall war. Klar gibt es viele lustige und witzige Einzelideen, nur tragen die die Story gerade einmal jeweils eine bis zwei Minuten weit, und da wird das Zuschauen bei 103 Gesamtminuten zu einem mühsamen Geschäft.

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Norbert Kerkhey

Dabei ist doch der Gedanke, ein Gesamtplot nicht aus kleinen Puzzlesteinen aufzubauen, sondern eine „story structure“ zu entwickeln, zentraler Bestandteil der US-amerikanischen Drehbuchparadigmen von Syd Field bis Frank Daniel, dessen Motto „The hardest thing about writing is to know what to write.“ sich leider nicht bis zu Mr. Stanton herumgesprochen hat.

Schade, denn so entsteht kein aufwühlendes bleibendes Kino-Erlebnis wie in „WALL·E“, „Toy Story 1 bis 3“ oder ganz besonders „Inside Out“, sondern nur eine Folge von vorhersehbaren Story-Fragmenten (sogar ohne innovative visuelle Effekte), deren Motto oder Message sich darin erschöpft, auch ohne Erinnerung kann man ein guter Mensch oder Fisch sein.

Ich hoffe, ich bin kein schlechter Mensch, wenn ich mich an den Finding Nemo Plot von damals erinnere und deshalb eben merke, dass von der mageren Story von Finding Dory auch noch das meiste dort bei Nemo abgekupfert oder in einem dünnen Aufguss verlängert wurde.

Bitterer Nachgeschmack: Während in Deutschland jede Drehbuchentwicklung von unqualifizierten Gremien und/oder Redaktionen zur Doktorarbeit stilisiert wird, klatschen wir uns zu US-amerikanischen Schmonzetten begeistert auf die Schenkel. Und machen einen Kotau vor dem Miliardengeschäft.

Denn die Box-Office-Zahlen werden das Einzige sein, an das ich mich in ein paar Wochen erinnern werde – nicht die Story oder die Charaktere, nicht das visuelle Layout und die FX, nicht die Dialoge, erst recht nicht die Message. All das werde ich vergessen haben. Auch wenn ich nicht Dory bin.

Norbert Kerkhey

Zone 5

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Comment (1)

  1. Hart aber fair. Natürlich ist die Story Structure und auch die Heldenreise zu Andrew Stanton durchgedrungen, schließlich ist „Findet Dory“ ja nicht sein Erstlingswerk und vorher gab es viele gute Stories von ihm. Man kann ihm höchstens vorwerfen, dass ihm das bei Dory irgendwie ein wenig entglitten ist…und ersetzt wurde durch mächtig viel „Razzle Dazzle“. Den Eindruck hatte ich auch.

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