Fangen wir besser mal mit den positiven Aspekten an: Der Film sieht großartig aus. Lighting/Shading, Color-Design, die Animation der Figuren, das Design der sie umgebenden Insel- und Wasserwelten: wunderbar! Ein Hoch auf die Artists in Vancouver und Burbank! Das Wasser funkelt so verführerisch an der Oberfläche wie darunter, der Sand strahlt sommerliche Wärme aus, das Grün der Palmen verspricht das Paradies. Genau darüber wird sich der Film recht gut verkaufen. Und es ist dazu ein Sequel. Wichtig in diesen Zeiten, wo doch die weltweite Kino-Top-Ten dieses Jahr nur aus Sequels besteht. Das Publikum will derzeit einfach Gewohntes und Bekanntes sehen.
Okay, wir akzeptieren das einfach mal. Aber Sequels dürfen auch gerne gute Geschichten erzählen, anders ausgedrückt ein Film lebt nicht vom Look allein. Und wenn die übrigen Komponenten eines Films versagen, kann das Konzept eines Sequels halt auch durchaus Schaden nehmen.
Something old, somethin new, something blue…
Sequels sollen gemeinhin die Quadratur des Kreises schaffen, die erfolgreiche, erste Geschichte exakt nochmal, aber anders, noch besser und mit neuen Ideen nacherzählen. Es gibt einige, wenige Beispiele der Filmgeschichte, wo das auch geklappt hat: „Der Pate 2“ etwa, „Toy Story 2“, – aber diese Sequel-Klassiker sind filmgeschichtlich in der Unterzahl. Der eigentliche Grund von Sequels sind deren Profitabilität an der Kinokasse. Die Figuren sind etabliert, die Welt ist bekannt und beim Publikum akzeptiert, man variiert ein bißchen, nicht zuviel und voila, die Kasse sollte stimmen.
Deswegen jetzt aber also auch das Negative: Vaiana 2 versagt geradezu kläglich an der wichtigsten Komponente eines Films, dem Erzählen einer interessanten, ansprechenden Geschichte. Teil Eins erzählte von verlorenen Traditionen, von vermeintlich bösen Ungeheuern einer ungewissen Zukunft, vom Vergessen und Erinnern, von Alt und Neu, von Vergangenheit und Zukunft, von Stagnation und Aufbruch. Dagegen sollte „Vaiana Teil 2“ gar nicht erst existieren, die Abenteuer sollten eigentlich als Streaming-Serie weitergesponnen werden, dann sorgten diverse Umbrüche und Flops im Konzernhaus Disney zu einer Neuordnung, die dringend einen profitablen Weihnachtsfilm Ende 2024 benötigte. So wurde die Serie kurzerhand zum abendfüllenden Spielfilm umfunktioniert. Und viel Zeit blieb den zwei, drei Regisseuren, den (mindestens) drei Drehbuchautoren und den gut 20 Storyartists nicht, die Story von einer Serien- in eine Spielfilmstruktur runter zu kürzen. So erklärt sich vielleicht die eklatante Schwäche des Films, eine halbwegs nachvollziehbare, plausible Story auszubreiten, der Zuschauer tappt lange verwirrt im Dunkeln, um was sich letztlich das nervöse Treiben auf der Leinwand eigentlich dreht. Irgendwie müssen wir alle von A nach B, Gott weiß warum…
So verspielt der Film seine Sympathien bei einem wachen, aufgeweckten Publikum bereits in der Exposition. Viel zu umständlich wird versucht, ein Motiv zu finden, Vaiana wieder auf eine große Expedition zu schicken, zu viele Story-Stränge liegen miteinander im Clinch und buhlen um die Gunst der Regisseure. Geht es darum, neue Inseln und deren Bewohner zu entdecken? Geht es darum, die Bevölkerung der eigenen Insel vor der Vernichtung zu bewahren? Muß Maui aus der Gefangenschaft befreit werden? Ungelogen, es bedarf dreier Powerpoint-ähnlicher Präsentationen im Verlauf der ersten dreißig Minuten, mit denen Motivationen, Konflikt und Handlung vermittelt werden sollen, eine davon, die Kokosnuss-Präsentation der Kakamora ist immerhin visuell witzig gestaltet. Aber elegantes filmisches Erzählen geht wirklich anders. Dementsprechend entwickelt sich auch keiner der Charaktere weiter, einfach ausgedrückt: die Vaiana am Ende des Films entspricht exakt der Vaiana am Anfang des Films, dito alle anderen Charaktere. So funktionieren Seriencharaktere, keine Filmcharaktere.
Ein weiteres Versagen ist das Festhalten an viel zu vielen Nebenfiguren, die in der Serien-Version sicherlich Sinn gemacht hätten, jetzt bei der Filmerzählung einfach keine Zeit zur Etablierung bekommen, um sich mit dem Publikum vertraut zu machen. Da sind die Eltern, die verstorbene Großmutter, der Entdecker-Vorfahre, die beiden Tier-Sidekicks, der Hahn Hei-Hei und das Schwein Pua. Damit nicht genug: Diesmal sticht Vaiana mit einer neuen, sechsköpfigen Crew in See, die aus vermeintlich inkompetenten Individuen besteht, die über den Verlauf einer Serie vielleicht zu einer Patchwork-Familie und dem Publikum ans Herz gewachsen wäre – jetzt aber nach nur neunzig Minuten Film letztlich Statisten bleiben, aber natürlich auch alle ihren Moment bekommen müssen, die die Unverzichtbarkeit ihrer Anwesenheit unterstreicht. Sprich, man vergisst alle diese Figuren, bevor der Abspann des Films sein Ende gefunden hat. Einen klassischen Disney-Bösewicht gibt es überraschender wie fatalerweise Weise nicht – ein mächtiger böser Sturmgott namens Nalo wird zaghaft angedeutet, bleibt aber ähnlich Thanos vom Marvel-Universum erst einmal dezent im Hintergrund. Stattdessen tritt seine Assistentin im Mittelteil kurz ins Rampenlicht der Story, um dann bis zur Endcredit-Szene wieder völlig von der Bildfläche zu verschwinden. Am bemerkenswertesten ist die Einführung von Vaianas kleiner Schwester, Simea, die wohl dem angestrebten Zielpublikum entsprechen soll. Die hätte allerdings dramaturgisch mehr Sinn gemacht, wäre sie tatsächlich Vaianas Tochter,- so inszeniert der Film sie nämlich. Aber eine allein erziehende Mutter in einem Disney-Animationsfilm, soweit sind wir dann wohl doch noch nicht.
Letztlich also alles Stückwerk, die Handlung plätschert von einer aufgeregten Szene zur nächsten, ohne dass sich ein großes Ganzes bildet, um dann auf einen ach so furiosen Schlusskampf zuzusteuern, dessen Struktur und Ausgang nicht wirklich überrascht. Am Ende entpuppt sich das Ganze gar als Origin-Story der Vereinten Nationen. Ein politisches Statement gegen eine US-amerikanische Isolationismuspolitik a la Trump setzt der Film bereits früh in Szene.
Die eingestreuten Songs sind alle annehmbar, allerdings Dutzendware, da setzt sich nichts als Ohrwurm fest. Das ganze Geschehen ist von einer spürbaren Nervosität angetrieben, nach Möglichkeit alles hervorzukramen, was dem Publikum gefallen könnte, Meta-Gags über Disney-Prinzessinen und dergleichen – den letzten Nagel in den Sarg treiben die völlig unnötigen, nervenden Anachronismen, da ist von „Besties“ die Rede, oder von „Butt-Dials“, also Dingen von denen selbst Maui erklärend anfügen muß, dass sie erst in etwa 2000 Jahren Sinn machen würden. Das hinterlässt einen faden, unangenehmen Nachgeschmack beim genervten Publikum, das sich nicht allein von den visuellen Reizen überzeugen lässt. Wer letzteres allerdings schafft, hat Spaß beim Film. Wer dagegen versucht der Filmhandlung zu folgen, wird massiv enttäuscht den Kinosaal verlassen. Anders, positiv ausgedrückt: Das ist wohl der erst, große abendfüllende Preschool-Animationsfilm aus dem Hause Disney.
Johannes Wolters, Mülheim Ruhr