19. Juni 2024 Johannes Wolters

Kopfkino für die nächste Generation – Die INDAC Kritik zu „Alles steht Kopf 2“ von Johannes Wolters

[geschrieben für Clara Tebruck!]

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Da sind sie wieder die Emotionen von Riley: Freude,Wut, Ekel und Angst. Riley, im ersten Film elf Jahre und am Ende desselben mit dem Knopf auf der Schaltkonsole für Pubertät konfrontiert, ist jetzt dreizehn Jahre alt, wächst aus ihren Kindersachen heraus in das Leben eines Teenagers. Was das genau heißt, darauf versucht der neue Film ein paar Hinweise zu geben, scheitert aber letztlich an der Komplexität dieser Abläufe. Der Versuch allein aber schon ist so ehrenwert und verdient große Anerkennung, die horrenden Zahlen des weltweiten Einspielergebnisses sind deswegen hochverdient. Aber meiner Meinung nach – und ich betone, das ist meine subjektive Meinung – ist dieser Film dem Vorgänger deutlich unterlegen und simplifiziert die tiegreifenden Probleme der heutigen Teenager Generation.

Kurz zum Inhalt: Riley und ihre Freundinnen stechen beim Eishockey derart heraus, dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, an einem exklusiven, abgeschiedenen Sportworkshop teilzunehmen, der letztlich die Möglichkeit bietet, Teil eines allseits bewunderten Schul-Eishockey-Teams zu werden. Die schiere Freude am Spiel wird mit der Möglichkeit konfrontiert, Ehrgeiz zu entwickeln, Teil eines neuen Teams, einer neuen Gruppe zu werden. Das erscheint umso attraktiver, wenn Riley mit der Neuigkeit konfrontiert wird, dass die Freundinnen auf eine andere Schule gehen werden als sie selbst und deren Freundschaft dadurch zurückzutreten drohen. Und in Rileys emotionalen Zentrum bricht Chaos aus, als die einsetzende Pubertät nicht nur zu einem radikalen Umbau der Zentrale führt, sondern drei neue Emotionen die Initiative über Riley übernehmen.

Die Welt, die „Alles steht Kopf“ im ersten Film so genial entwarf, wird in der Fortsetzung nun weitergedacht: Was passiert in der Pubertät, welche Probleme drängen auf Riley ein, wie reagieren die Emotionen darauf, was ändert sich.

Dabei gelingen den Drehbuchautoren um Regisseur Kelsey Mann eine Reihe dramaturgischer Schachzüge, um die mentale Situation zu konzentrieren: Die Idee des Workshop-Camps erlaubt zum einen die elegant gelöste Isolierung von den Eltern, die Camp-Politik, die die Abgabe der Smartphones bedingt, erlaubt diese Trennung der bisherigen sozialen Bindungen zu verstärken und löst auch die Probleme, die der Zugang zu den sozialen Netzwerken mit sich bringen. Es erlaubt dem Film sich auf seine zentrale Erzählung zu konzentrieren, wie Riley sich gegenüber alten und potentiellen neuen Freundinnen verhält, wie Riley letztlich mit Selbstzweifeln, Verunsicherung und Ehrgeiz fertig werden muß.

Dabei gelingt es dem Film durchaus, mit der gelungenen Visualisierung einer Panik-Attacke im emotionalen Zentrum erzählerisches Neuland zu betreten.

Warum aber gefällt mir der Film nicht besonders, wenn ich ihn auch bestens verstehe?

Pubertät ist weitaus komplexer als der Film andeutet. Die größte Auslassung besteht in den physischen Veränderungen – Schon der Kurzfilm „Riley´s First Date“ von 2015 zeigte auf, dass Disney/Pixar nicht bereit ist, bestimmte Grenzen des „guten Geschmacks“ zu übertreten und im Rahmen des „Family Entertainments“ Grenzen zu ziehen, die einer neuen Generation höchstwahrscheinlich verlogen oder kindisch erscheinen dürfte. Es wäre interessant, den Film in einem Double Feature Event zusammen mit Brian de Palmas Stephen King-Verfilmung „Carrie“ (1979) zu zeigen.

Wie ein Filmproduzent mir gegenüber im LinkedIn Chat treffend bemerkte: Yes, the discussion of the parameters about what should, could or can be explored in a commercial Pixar movie would have been fascinating to listen in to… yet the film still represents a courage to look inside and (genuinely) respect the concerns of young people undergoing change.

Erinnern wir uns, im Zentrum der wunderbaren, emotionalen Welt des ersten Films Originaltitel „Inside Out“ von 2015 war die „Out“ Gesichte, die Außen-Geschichte nicht wirklich raumgreifend. Riley fühlt sich in der neuen Umgebung der Großstadt unwohl und will ins alte Zuhause ausreißen, besinnt sich aber eines Besseren und kehrt zu ihrer Familie zurück. Die interessantere Geschichte im „Inside“, im Inneren von Riley erzählt davon, dass Trauer eine viel wichtigere Rolle spielt, als die anderen Emotionen, allen voran Joy, ihr zugestehen möchten. Was noch überschattet wird vom Tod durch Vergessen, den Bing Bong, Rileys einstiger imaginäre Freund, in diesem Film erfährt. Das war es, was den ersten Film zum Film-Klassiker erhob und der seinen Platz als wohl bester Pixar-Film bislang zementierte. Pete Docters Inside Out von 2015 zeigte auf, wie komplex ein Animationsfilm zentrale Dinge des menschlichen Zusammenlebens und der eigenen Entwicklung für alle gemeinsam erlebbar machen kann. Bing Bongs Selbstaufopferung, die gleichzeitig den ersten Schritt in Rileys nächste Entwicklungsstufe einläutete, ist ein dramaturgisches Meisterstück, das in der Welt des filmischen Erzählens seinesgleichens sucht. Und eben nicht nur im Animationsfilm, sondern auch im Realfilm.

Hier jetzt im zweiten Film ist das Originalkonzept immer noch bezaubernd, stösst aber rasch an Grenzen und die thematische Verschiebung zu Problemen der Pubertät ist letztlich so komplex, dass der Film in seiner Erzählung letztlich zu viele Brechungen durchführen muß, um die Geschichte irgendwie zu einem Abschluß zu bringen.

Diese erzählerischen Probleme spiegeln sich dabei schon in der deutschen Synchronisation wieder, die die neue zentrale Emotion „Anxiety“ mit dem deutschen Wort „Zweifel“ übersetzen. Das ist schlicht falsch, dies ist eine zentrale Umdeutung der originalen Emotion.

Und eine Reihe weiterer Fragen drängen sich jetzt auf:

Die Idee des „Believe System“ ist interessant, man fragt sich, wo kommt das auf einmal her? Sind Beweggründe wie (sportlicher) Ehrgeiz, das „Dazugehören wollen“ nicht eigentlich auch Emotionen oder aber, wenn nicht, was dann? Wie entscheidet sich Riley zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gut und Böse. Was ist mit Eigenschaften wie Wagemut, Unvorsichtigkeit, Unüberlegtheit, Mut, Kühnheit etc. Hier merkt man, wie etwa beim Einbruch in das Zimmer der Hockey-Trainerin, das die Welt im Inneren viel komplizierter sein muß, als der Film durch seine originäre Konstruktion in der Lage ist, abzubilden. Die Geschichte, die der neue Film erzählt, so wichtig und richtig sie intellektuell erscheint, ist nicht mehr kongruent zu dem vorgegebenen Worldbuilding des originalen Films. Und das ist schade. Das beschädigt sogar den ersten Film.

Mein größtes Problem ist: „Alles steht Kopf 2“ hat eine klare und wichtige Message, eine Botschaft, die er am Ende des Films sogar in den Abspann schreibt. Wer lang durchhält am Ende, liest dort in etwa „Kinder, wir lieben Euch, so wie Ihr seid!“ [Ich habe nur die englische Fassung gesehen, kann also nicht genau sagen, was da in Deutsch steht – kann mich da jemand unterrichten?] Dieser wichtigen Botschaft unterwirft der Film seine erzählerischen Stärken. Das geht auf Lasten seiner Emotionalität. Die Geschichte erreicht mich nur im Kopf, nicht aber im Herzen. Das war genau andersherum beim ersten Film. Dort traf mich der Tod von Bing Bong emotional wie ein Keulenschlag, dann erst setzte die intellektuelle Rationalisierung ein. Und ich bin ein Anhänger des amerikanischen Filmkritikers Roger Ebert, der treffend formulierte:

“We are all born with a certain package. We are who we are. Where we were born, who we were born as, how we were raised. We are kind of stuck inside that person, and the purpose of civilization and growth is to be able to reach out and empathize a little bit with other people, find out what makes them tick, what they care about. For me, the movies are like a machine that generates empathy. If it’s a great movie, it lets you understand a little bit more about what it’s like to be a different gender, a different race, a different age, a different economic class, a different nationality, a different profession, different hopes, aspirations, dreams and fears. It helps us to identify with the people who are sharing this journey with us. And that, to me, is the most noble thing that good movies can do and it’s a reason to encourage them and to support them and to go to them.”

In seinem besten Moment bezaubert der Films: die Szene am Morgen der Reise zum Camp-Workshop, in der Riley aufwacht und sich den kompletten Moodswings der frisch ausgebrochenen Pubertät ausgesetzt sieht, die von Versagensängsten bis hin zu unliebsamen Körpergerüchen reichen plus der Reaktion der überforderten Mutter – hier funktioniert die Originalkonstruktion einer emotional gesteuerten Figur bezaubernd und man erkennt sich lachend in Riley wieder.

In der schlechtesten Szene des Films beginnt Freude/Joy zu weinen und Anger/Wut wird freundlich. Das ist ein so massiver Bruch mit der Übereinkunft zwischen Zuschauer und Erzähler, dass man aus Unmut Gegenstände gegen die Leinwand werfen möchte. Das ist eine so plumpe dramaturgische Abkürzung, um das Geschehen der Handlung Richtung Happy-End zu drücken, dass es einem den Atem verschlägt, hier zeigt sich die Unterlegenheit des Films gegenüber seines Vorgängers am deutlichsten.

Es gäbe noch viel zu betrachten und zu bereden: Die Inside Geschichte ist letztlich kleiner als die Outside Geschichte, das Character-Design von Anxiety, das stilistisch mehr an eine Klasky-Csupo Produktion erinnert (The Rugrats), als ein Pixar Design, der Einsatz der Musik, die Vernachlässigung von Charakteren, und und und…

Aber ich jammere hier auch auf hohem, Niveau, ich möchte betonen – und ich werde nicht müde, dies zu tun – , dass dieser Film mit all seinen Macken und seinen Unzulänglichkeiten in einer anderen Liga, einer anderen Galaxie spielt, als das, was zum Beispiel hierzulande in Deutschland derzeit mit Hilfe von Fördergeldern produziert wird. Zipfelmützen, Lillifees, Kokosnüsse, – you name it.

Aber europäische Trickfilmproduktionen haben inzwischen glücklicherweise zu dem erzählerischen Niveau von Pixar aufgeschlossen. Pablo Bergers grandioser „Robot Dreams“ aus Spanien, die Produktionen von Cartoon Saloon in Irland, „Ron´s Gone Wrong/Ron läuft schief“ von Locksmith Animation in London, und, und, und… – all das zeigt, dass Pixars jahrelange Vormachtstellung in Sachen „Visual Storytelling“ nicht mehr unangefochten ist, zu sehr ist inzwischen auch Talent aus dem Studio abgeflossen, nachdem dort Studiochef John Lasseter entlassen wurde und Ed Catmull in den Ruhestand ging. Wir sind wohl alle gespannt, ob Brad Bird, der John Lasseter nun zu Skydance Animation gefolgt ist, mit seinem dort derzeit entstehenden Film „Ray Gunn“ an seine früheren Erfolge wie „Ratatouille“ oder „The Incredibles“ anschließen kann. Warten wir es ab. Derweil darf Pixar seinen finanziellen Erfolg genießen.

Was meinst Du dazu? – Email an indac@gmx.de

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