27. Februar 2023 Johannes Wolters

Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth stellt Eckpunkte für Reform der Filmförderung vor

Die Filmbranche in Deutschland befindet sich in einem großen Umbruch. Das gegenwärtige System der Filmförderung passe immer weniger zu den sich grundlegend verändernden Rahmenbedingungen, konstatiert Kulturstaatsministerin Roth in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung –und präsentiert Eckpunkte für eine Reform der Filmförderung.

https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/gastbeitrag-filmfoerderung-2165548

Beim Deutschen Produzententag 2023 stellte die Kulturstaatsministerin Eckpunkte für eine Reform der Filmförderung vor. Ziel sei es, die Filmförderung effizienter, schneller und ganzheitlicher zu machen, das ganze kreative Potenzial deutscher Filmemacherinnen und Filmemacher zu heben und bessere Ausgangsbedingungen für neue Erzählformen und Perspektivenwechsel zu schaffen, so Claudia Roth.

Donnerstag, 16. Februar 2023 in Berlin

– Es gilt das gesprochene Wort –

Wir alle lieben den Film! Keine Kunst erreicht uns unmittelbarer, keine lässt uns direkter fühlen und erleben – in guten wie in schweren Zeiten. Und nirgendwo sonst lässt sich der Film besser feiern als hier auf der Berlinale – in den Kinos, bei Empfängen, auf Partys. Natürlich, auch deshalb sind wir hier.

Doch vor die Liebe hat das Drehbuch die Leiden gestellt. Ohne sie gäbe es keinen Film, keine Filmkunst, so wie es ohne die Leidensfähigkeit der Produzentinnen und Produzenten nie auch nur einen einzigen Meter Film gegeben hätte. Der Film ist ein anspruchsvolles Objekt der Begierde. Er will erzählen, den Nerv der Zeit, den Sound treffen, er will dafür mit der besten Idee, den besten Autorinnen und Autoren, der besten Regie, den talentiertesten Darstellerinnen und Darsteller und der modernsten Technik ausgestattet werden. Und weil diese Ansprüche jedes Budget sprengen, will er gefördert, aber keinesfalls gegängelt werden – um am Ende zu gefallen. Und zwar möglichst vielen.

Tut er das, wie der mit neun Oscar- und 14 BAFTA-Nominierungen hochgelobte Film „Im Westen nichts Neues“, sollte das eigentlich Anlass zu ungetrübter Freude geben.  Das tut es auch. Doch es konfrontiert uns mit der Frage, warum unser gut ausgestattetes deutsches Fördersystem selten vergleichbare Erfolge erzielt. Denn, wie wir alle wissen: „Im Westen nichts Neues“ ist eine Netflix-Produktion.

Das ist unser Thema: Die Branche wandelt sich. Verwertungswege und -möglichkeiten von Filmen haben sich radikal verändert, ebenso die Seh- und Nutzungsgewohnheiten. Lineares Fernsehen verliert an Bedeutung, Mediatheken und Streamingplattformen werden immer wichtiger. Sie haben aus dem Kinofilm als der Form filmischen Erzählens eine von vielen Formen gemacht. Kinofilme müssen ihr Publikum finden und Kinos alle Spielarten des Films anbieten.

Uns und vor allem Sie belasten die Auswirkungen einer Pandemie und die Folgen eines brutalen Angriffskriegs mitten in Europa. Kinobesuche sind zurückgegangen, gestiegene Energie-, Produktions- und Logistikkosten stellen der Filmwirtschaft harte Bedingungen.

Schon 2019, im letzten Jahr vor Corona, erreichten die jeweiligen Top 30 der uraufgeführten deutschen Spiel- und Dokumentarfilme rund 90 Prozent des Publikums. Die verbleibenden 10 Prozent der Zuschauerinnen und Zuschauer verteilten sich auf weitere rund 120 Spiel- und 70 Dokumentarfilme. Das Verhältnis von filmischen Angebot und Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer ist nicht gut. Das ist – grob skizziert – die Ausgangslage, der sich eine Reform der deutschen Filmförderung stellen muss.

Dabei sind die Rahmendaten gar nicht schlecht. Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens für die Filmförderung. Zusammen verteilen Bund und Länder fast 600 Millionen Euro an Fördermitteln im Jahr. Einen Teil davon erwirtschaftet die Branche selbst durch ein Abgabesystem. Ein anderer wird aus den öffentlichen Haushalten zur Verfügung gestellt. Doch das gegenwärtige Fördersystem passt nicht mehr, es fügt sich nicht mehr ein, in die veränderten Rahmenbedingungen, es ist mit all seinen Richtlinien und Stellschräubchen zu komplex und damit zu langsam geworden und  es trägt mit bei zu dem, was ich oben beschrieben habe: dem Ungleichgewicht zwischen Zuschauerinnen und Zuschauern und Film.

Ziel einer Reform der Filmförderung kann deshalb nur sein, sie effizienter, sie schneller und ganzheitlicher zu machen. Sie soll das ganze kreative Potenzial deutscher Filmemacherinnen und Filmemacher heben, sie will künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreiche Filme und sie will bessere Ausgangsbedingungen für die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher, für Wagnis und Risiko, neue Erzählformen und Perspektivenwechsel. Ziel ist aber auch eine Reform, die der Verantwortung für unsere Gesellschaft gerecht wird. Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind keine add ons. Sie sind die Bedingungen für die Möglichkeit von gesellschaftlichem Fortschritt und einer lebenswerten Zukunft!

Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen im folgenden Eckpunkte einer Reform vorstellen werde, so kann ich das nur, weil viele von Ihnen daran mitgewirkt haben. In unzähligen vertraulichen Runden, in gemeinsamen Gesprächen mit mir und meinem Haus und unter einander. Dafür danke ich Ihnen an dieser Stelle von ganzem Herzen! Und ich darf zugleich eine Hoffnung äußern: ich würde gerne so weiter machen. Miteinander. Organisationsgrenzen sind Wissensgrenzen. Lassen Sie uns diese gemeinsam überwinden. Für den Film!

Erstens wollen wir die Entwicklungsförderung modernisieren. Sie soll dafür sorgen, dass Filme besser entwickelt, produziert und vermarktet werden können und damit auch den „creative drain“ stoppen. Sie soll Innovationsgeist und Risikobereitschaft stärken. Die bisherige Ausgestaltung der Förderung bremst diese Prozesse eher, als dass sie sie befördert. Denn sie belohnt das Fortführen wenig erfolgversprechender Produktionen eher, als dass sie ein Scheitern auch als Chance begreift. Deswegen wollen wir eine zeitgemäße Entwicklungs- und Produktionsförderung für kreativen Content über die unterschiedlichen filmischen Formen hinweg schaffen.

Zweitens brauchen Dokumentar-, Kurz-, Nachwuchs- und künstlerische Filme ihre eigene passgenaue Förderung. Diese Filme müssen nicht an der Marktlogik ausgerichtet sein. Sie sollen neue Formen filmischen Erzählens ermöglichen, sie sollen dokumentieren und experimentieren, uns sehen lehren. Aber entdecken und fördern kann man sie nur durch eine eigene, selektive Förderlogik, eigene Jurys und einen eigenständigen Platz in der Förderung.

Wir wollen – drittens – eine bessere Anreizförderung für den Film. Warum schaffen wir nicht eine Referenzförderung, die künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg früher belohnt? Warum artikulieren wir sie nicht noch besser mit der Standortförderung? Ich sage: wir sollten beide Modelle weiterentwickeln. Dafür werden wir uns auch das österreichische Modell sehr genau anschauen. Sie alle kennen seine Vorteile gegenüber dem DFFF und dem GMPF. Schauen wir uns gemeinsam an, was wir daraus lernen können!

Ein anderes Instrument wäre eine Steueranreizförderung für die deutsche und internationale Film- und Serienproduktion. Auch diesen Weg sollten wir gemeinsam evaluieren. Denn Ziel ist es doch, die unabhängigen Produktionsfirmen besser zu unterstützen. Ihre Rechtebasis zu stärken und den Aufbau eines Rechteportfolios – kurz: wir wollen gemeinsam den Filmmarkt gerechter gestalten. Mit einer besseren Förderung geht auch eine höhere Verantwortung einher. Verwerter, insbesondere die internationalen Streaming-Anbieter, sollten einen stärkeren Beitrag leisten zum Gesamterfolg des Fördersystems. Deswegen wollen wir sehr intensiv die Einführung einer Investitionsverpflichtung prüfen, die zum Beispiel Streamingplattformen dazu verpflichtet, einen bestimmten Teil ihres Umsatzes mit audiovisuellen Inhalten in Deutschland wieder hierzulande zu reinvestieren.

Viertens: wir wollen die FFA gemeinsam mit der Branche weiterentwickeln zu einer Filmagentur, die alle filmpolitischen Aufgaben der Bundesförderungen übernehmen kann. Dazu gehört auch, dass wir über bessere und mehr Daten über Förderung und Verwertung verfügen. Das Ziel sind zügigere Verfahren und eine bessere Abstimmung zwischen wirtschaftlichen und künstlerischen Aspekten. Dafür soll dann auch die bisherige kulturelle Förderung durch meine Behörde von dieser neuen Filmagentur wahrgenommen werden. Die kulturelle Dimension der Förderung bleibt dabei selbstverständig erhalten.

Fünftens wollen wir die Förderinstrumente auf Bundes- und Landesebene stärker miteinander verzahnen. Bund und Länder sollen sich über gemeinsame Grundsätze der Filmförderung verständigen. Wir können hier vorangehen, indem wir eine Mindestförderquote für die Bundesförderung einführen, die Filmprojekten eine erste, relevante Finanzierungsbasis ermöglicht. Aber auch andere Modelle sind denkbar. Hierzu stehe ich im Gespräch mit den Ländern. Ich finde, unser gemeinsames Ziel sollte sein, dass wir die Filmförderstruktur zwischen Bund und Ländern erheblich verschlanken und die Anzahl der beteiligten Förderungen pro Filmprojekt deutlich reduzieren.

Ein weiteres Thema zwischen Bund und Ländern muss die Beteiligung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks an der Filmförderung sein. Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk hat einen kulturellen Auftrag und er nimmt ihn verantwortungsvoll wahr. Je mehr, desto besser. Er darf aber zum Beispiel durch Auswertungsfenster nicht benachteiligt werden gegenüber der Konkurrenz der Plattformen – und er muss sich der Anforderung stellen, unabhängige Produktionen und deren Rechtebasis zu stärken.
Auch die Nachwuchsförderung soll verstärkt werden durch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – etwa mit gemeinsamen Debütfilmen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium junger deutscher Film.

Ziel ist es – sechstens – auch die Sichtbarkeit deutscher Filme zu erhöhen. Hierfür sollte aus unserer Sicht insbesondere die Struktur der Verleihunternehmen in Deutschland gestärkt werden. Der deutsche Kinomarkt wird zunehmend von ausländischen Verleihern dominiert, die häufig durch eine Abhängigkeit von Networks und Streamern geprägt sind. Wir wollen einen robusten Verleihmarkt schaffen, wozu übrigens auch das gemeinsame Nachdenken über Sperrfristen zählt:
Eine straffere und einfachere Fristenregelung, die vorrangig das Kinofenster sichert und sich danach noch stärker als bisher für individuelle Abreden und Branchenvereinbarungen öffnet, scheint mir hier der richtige Ansatz.
Natürlich ist für den Erfolg des deutschen Films auch eine starke Kinolandschaft – insbesondere auch in der Fläche – wichtig. Nicht nur die Kirche sollte im Dorf bleiben, auch das Kino. Wir wollen die Kinoförderung stärker automatisieren, um den Kinos mehr Planungssicherheit zu verschaffen und die Förderung zu vereinfachen.

Siebtens: Die Vergabe öffentlicher Mittel beinhaltet auch, dass sich die Empfänger dieser Mittel ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen. Diversität, vor und hinter der Kamera, Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit gehören dazu. Sie sind notwendig. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit würde schon viele Ungerechtigkeiten gerade gegenüber Frauen beseitigen. Aber auch bei Gremien und Förderungen sind Diversität und Geschlechtergerechtigkeit notwendig. Ebenso wie Nachhaltigkeit – und zwar ausdrücklich in allen ihren Dimensionen. Soziale Standards und ökologische Nachhaltigkeit müssen hier Hand in Hand gehen. Hier gibt es bereits sehr erfolgreiche Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann, wie etwa die mit dem Arbeitskreis Green Shooting entwickelten Standards.

Und schließlich – achtens – und damit komme ich tatsächlich zum Schluss, werden wir mit dem KulturPass für 18-Jährige in diesem Jahr eine indirekte Förderung für den Filmbereich einführen. Die 200 Euro, die alle jungen Menschen erhalten, die in diesem Jahr 18 Jahre alt werden und in Deutschland leben, können für die unterschiedlichsten Kulturangebote eingesetzt werden. Das Beispiel in Frankreich zeigt, dass Kinos davon besonders profitierten. Und ich hoffe, dass wir im Juni damit starten können. Wenn der Kulturpass erfolgreich wird, dann habe ich die Zusage, dass wir ihn auch auf jüngere Jahrgänge erweitern können.

Meine Damen und Herren, wenn wir anhand dieser 8 Punkte arbeiten wollen, dann sollten wir uns rasch nach der Berlinale auf einen Fahrplan verständigen. Mein Ziel ist es, Ende diesen Jahres die notwendigen Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. Der Bundesfinanzminister, aber auch viele andere Kolleginnen und Kollegen im Kabinett sind mehr als interessiert an unseren Fortschritten. Wir wollen gerne gemeinsam ihren Rat in Anspruch nehmen.
Ebenso wie den des Gesetzgebers, meine Damen und Herren Abgeordnete. Deswegen noch einmal: lassen Sie es uns gemeinsam angehen!

 

 

 

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