8. Februar 2023 Johannes Wolters

Die INDAC Kritik zu „Der Kater Maurice/The Amazing Maurice“

von Johannes Wolters

Die Produktion „Maurice der Kater“, im englischen Original „The Amazing Maurice“ ist eine deutsch-britische Trickfilmproduktion, die aus dem hiesigen Ghetto des Preschool-Kinderfilms auszubrechen versucht, um sich auf dem umkämpften, aber finanziell lukrativeren und auch langlebigeren Terrain des „Family Entertainment“ zu behaupten.

Die deutsche Produzentenseite um Ulysses Films und Studio Rakete hat in Zusammenarbeit mit ihren internationalen Partnern Cantilever, Narrativia, Sky u.a. dafür die Rechte an Terry Pratchetts Kinderbuch „The Amazing Maurice and his educated Rodents“ aus dem Jahre 2001 erworben. Terry Pratchett, Kultfigur der zeitgenössischen englischen Fantasyliteratur, Schöpfer der satirischen Scheibenwelt-Romane, hatte in „Maurice“ seine Version des Märchens vom Rattenfänger aus Hameln niedergeschrieben und daraus eine satirische Betrügergeschichte mit einer überbordenen Schar von bizarren Charakteren und Einfällen geschaffen, die von einem schaurigen Rattenkönig bis hin zu einer Stepp-tanzenden Ratte mit Hut und Jackett reicht. Pratchett, der im Abspann noch als einer der Executive Producer genannt wird, ist 2015 mit 66 Jahren viel zu früh verstorben.

In der Filmadaption, die recht frei mit der literarischen Vorlage umgeht, haben eine Gruppe von intelligenten, sprechenden Ratten sich mit dem gleichfalls begabten aber wesentlich durchtriebeneren Kater Maurice und dem jungen und musikalischen Menschen Keith zusammengetan und ziehen mit einem betrügerischen Rattenfänger-Akt von mittelalterlicher Stadt zu Stadt, um so Geld zu sammeln für die Reise in ein vermeintliches Tierparadies, dass ihnen ein im Geiste von Beatrix Potter gestaltetes Kinderbuch namens „Herr Schlappohr erlebt ein Abenteuer“ verspricht. Diese quasi-religiöse Leichtgläubigkeit der Ratten wird von Maurice ausgenutzt und gesteuert, der auf eigene Rechnung arbeitet. Die Truppe gelangt nach Bad Blintz, einem Städtchen, das unter einer bemerkenswerter Hungersnot leidet, obwohl keine Rattenplage die Stadt heimgesucht hat. Im Gegenteil, sehr zur Überraschung von Maurice und den Ratten findet man keinerlei Artgenossen. Dafür stößt die Bürgermeistertochter Malizia zur Truppe, die dem Film bislang als außenstehende Erzählerin und Geschichten-Erklärerin zur Seite stand. Gemeinsam versucht man/frau/ratte/kater den Geheimnissen von Bad Blintz auf den Grund zu gehen, begegnet dabei finsteren Gesellen, mörderischen Rattenfängern oder Angst einflößenden Rattenkönigen.

Terry Pratchetts Romane sind bekanntermaßen schwer zu verfilmen, wie diverse frühere Versuche beweisen, Netflix hat immerhin mit der Serien-Umsetzung von „Good Omens“ mit Martin Sheen und David Tennant in den Hauptrollen die bislang beste Umsetzung vorgelegt, wohl auch, weil Co-Autor Neil Gaiman wesentlich visueller arbeitet. Die Figurenfülle der Pratchett-Romane, die alle handlungstragend und damit eigentlich unverzichtbar sind, – die meandernde, humoristischen Handlungsbögen, die unabhängig voneinander, sich hin und wieder überkreuzend scheinbar ziellos dahinplätschern, die vielen philosophischen Ideen, die untrennbar mit hochintelligenten Parodien einhergehen – das alles ist eigentlich kontraproduktiv für eine Kinogeschichte von nur 90 Minuten, Drehbuchautor Terry Rossio, stellvertretend genannt für alle, die an der visuellen Drehbuchentwicklung des Films mitgewirkt haben, hat versucht, sein Bestes zu geben, um den ganzen eine einigermaßen stringente Handlung zu geben. Aber wirklich gelungen, ist es ihm leider nicht.

Der Film, dessen Kinoauswertung eigentlich für den Sommer 2022 geplant war, trifft jetzt auch noch auf ein eher gesättigtes Ziel-Publikum, das eben gerade Dreamworks oscarnominierte Trickfilmproduktion „Der gestiefelte Kater – Der letzte Wunsch“ im Kino kredenzt bekam. Und Pixars Rattenfilm „Ratatouille“ hat sich bis heute derartig ins weltweite Filmgedächtnis eingebrannt, dass der Überraschungshit der Oscar-Saison, „Everything, Everywhere All At Once“ mühelos und für alle nachvollziehbar daraus zitieren kann. Also dürfte der Hunger nach Katzen- und Rattengeschichten derzeit nicht unbedingt besonders ausgeprägt sein. Auf der Habenseite steht bei „Maurice“ eine wirklich ansprechende tricktechnische Umsetzung im Rahmen eines Budgets von gemunkelten 15-17 Mio Euros. Eine bezaubernde Lichtsetzung, schöne Sets, fliessende Kamera, interessantes Character Design, -großes Lob an die sichtlich engagierten Artists in den Studios im Vereinigten Königreich und in Deutschland. Merkwürdig allein und dies wahrscheinlich dem international immer noch vergleichsweise bescheidenen Budget geschuldet – ist, das manche Szenerie merkwürdig theatralisch wirkt, steril und leer.

Wirklich problematisch ist die erzählerische Seite: Pratchetts barocke literarische Fantasywelten auf einen Filmplot runter zu brechen, ist zugegebenermaßen fast unmöglich und scheitert hier mit wenig überzeugenden erzählerischen Kompromissen, die Filmerzählerin Malizia an einer Stelle lakonisch dem Kinozuschauer zugewandt, feststellen lässt, dass die Plotstruktur des Films teilweise nicht durchdacht erscheint. Einzelne Segmente, wie etwa der Hundekampf oder der Besuch beim echten Rattenfänger wirken bemerkenswert zufällig und behauptet – anderes, wie das erste Aufeinandertreffen von Malizia, Keith und Maurice ist wunderbar humorvoll umgesetzt. Diese wenig homogene Filmerzählung leidet besonders darunter, dass der Film sich nicht an ein Publikum zu wenden scheint, sondern sich mit separaten Momenten an verschieden definierte Zielpublikum-Gruppen richtet. Dazu kommt, dass die behauptete Hauptfigur Maurice locker von der hinreißend animierten Malizia unter den Tisch gespielt wird und derartig viele Film-Charaktere mit den Ratten an die Seite gestellt bekommt, dass das Publikum viel zu lange braucht, sich emotional für eine Figur zu entscheiden, dem es sein Herz schenkt. Vor allem braucht der Film gefühlt viel zu viel Zeit um seine Story zu entwickeln, bis im letzten Akt das Tempo endlich anzieht. Es ist also schwer hier ein Urteil zu fällen, ob und für wen der Besuch im Kino wirklich lohnt. Das ist alles wirklich sicherlich auf einem guten Weg und man möchte dringend hoffen, dass das internationale Team mit den Erfahrungen aus dieser Produktion weitermacht und mit Folgeproduktionen sein Talent unter Beweis stellen darf und diverse Fehler dann früh korrigiert oder unterlässt. Gegenüber den letzten Produktionen mit deutscher Beteiligung ist „Maurice“ ein Riesenschritt in eine bessere Zukunft des deutschen Animationsfilm, aber man kann nicht verschweigen, dass der Weg noch lang sein wird. Und natürlich ist die Frage berechtigt, ob das jetzt wirklich und inwieweit überhaupt ein „deutscher“ Film ist. Aber dies ist vielleicht eine Frage, die allenfalls noch für die Filmförderung und für die deutschen Animationsschulen von Interesse sein dürfte. Ein Vergleich zwischen dem englischen Trailer und dem deutschen Trailers zeigt einen weiteren interessanten Unterschied auf: Die englische Fassung des Films wartet mit einer hochillustren Stimmen-Starriege auf – darunter David Tennant, Hugh Bonneville, Gemma Arterton, David Thewlis – und aus der Emilia Clarke als Malizia und Hugh Laurie als Maurice begeisternd herausstechen. In der deutschen Fassung hört man dagegen Bastian Pastewka als Maurice, unterstützt von Janin Ullmann und Jerry Hoffmann.

Ulysses Filmproduktion http://www.ulyssesfilms.de

Cantilever Media http://www.cantilever.media
Narrativia http://www.narrativia.com

Animationsstudios:

Red Star http://redstar3d.com/

Studio Rakete http://www.studiorakete.de/

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