27. Juli 2021 Johannes Wolters

Die INDAC Kritik zu Dreamworks „Spirit – Frei und ungezähmt“ von Johannes Wolters

Die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem ungestümen Mustang und einem eigensinnigen Mädchen im wilden Westen Amerikas erfindet das Genre wahrlich nicht neu, bietet aber dafür solide, politisch korrekte Familienunterhaltung

Die USA zur Zeit des wilden Westens: Als Baby verliert Fortuna „Lucky“ Prescott ihre Mutter bei einem Unfall, die Mutter arbeitete als Kunstreiterin bei einem Rodeo. Sie wächst bei den reichen Großeltern väterlicherseits an der Ostküste auf und kehrt mit etwa 12 Jahren zurück in die Welt ihrer Eltern im ländlichen Westen. Die ungestüme und dickköpfige „Lucky“ lernt dabei auf ihrer Reise durch Zufall einen wilden Mustang kennen, der mit seiner Herde frei in der unberührten Wildnis lebt. Im kleinen Western-Städtchen Miradero schließlich angekommen, trifft Lucky ihren Vater wieder, beide müssen sich erst einmal aneinander gewöhnen. Den häuslichen Unfrieden kann immerhin der Umstand lindern, dass Lucky rasch Freundschaft schliesst mit zwei gleichaltrigen Mädchen vor Ort, Prudence Granger und Abigail Stone. Im Pferde-Corral der Stadt trifft sie den wilden Mustang wieder, der inzwischen von zwielichtigen Cowboys eingefangen wurde. Mit Hilfe ihrer Freundinnen gelingt Lucky das Vertrauen des Tieres zu gewinnen. Das ist der Auftakt einer Reihe von aufregenden Abenteuern.

„Alles Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ dichtete schon Mitte des 19.Jahrhunderts Autor Friedrich von Bodenstedt (1819 – 1892) Das Motiv Pferdefreundschaft ist in der westlichen (Jugendbuch-) Literatur tief verankert, „Black Beauty“ etwa erschien 1877 in England, Walter Farleys „The Black Stallion/Blitz, der schwarze Hengst“ bereits 1941 in den USA und Ursulas Bruns „Dick und Dally und die Ponys“ 1952 in West-Deutschland. Und natürlich hat sich dieses populären Motivs mit Hilfe der literarischen Vorlagen auch der Film und das Fernsehen angenommen: Black Beautys Geschichte erlebte schon in der Stummfilmzeit diverse Verfilmungen, Francis Ford Coppola produzierte 1979 die von Caroll Ballard inszenierte Black Stallion-Adaption, während Dick und Dally bereits in den späten 1950er Jahren zur kommerziell immens erfolgreichen Filmreihe um das imaginäre Gestüt Immenhof umgestrickt wurde. Natürlich erlebten alle drei Franchises TV-Serien Adaptionen, Neuverfilmungen und Reboots und sind nur drei von vielen (das Spektrum reicht vom Pferdeflüsterer bis hin zu Ostwind) – die Geschichte des Aufbaus einer Freundschaft zwischen einem wilden, ungestümen Pferd und zumeist einem jungen Mädchen hat ein quasi unzerstörbares Appeal und garantiert damit Auflage bzw solides Einspielergebnis.

Auch der Animationsfilm hat sich des Themas angenommen, insbesondere hier das Dreamworks Animation Studio, das 2001 den Spielfilm „Spirit – Stallion of the Cimmarron“ in die Kinos brachte – eine Ode an den unbezähmbaren „amerikanischen“ Spirit mit einer merkwürdigen Verbeugung vor dem Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern vor dem Hintergrund des wilden Westens. 2010 folgte dann vom selben Studio „Drachen zähmen leicht gemacht“ – hier hatten die Pferde halt zusätzlich noch Flügel und konnten Feuer speien, aber die Grundidee blieb natürlich dieselbe. Die Auswertung der eigenen kommerziell erfolgreichen Kinofilmideen im lukrativen TV-Markt führte bei Dreamworks dann 2017 zur Serie „Spirit – Riding Free“ die inklusive Spin-Offs es inzwischen auf rund 70 Fernseh-Folgen schaffte und von Netflix gestreamt wird.

Aufgrund der Popularität der TV/Streaming-Serie entschloß sich die derzeitige Führungsetage von Dreamworks Animation, dem Franchise einen Kino-Film zu gönnen, der jetzt die deutschen Kinos erreicht: „Spirit – Frei und ungezähmt“. Das Budget wurde bewusst gedeckelt, die Animation an ein Unterstudio ausgelagert, Jellyfish Studios in UK – ein potentieller Hinweis auf die mögliche Entwicklung der Produktionsmittel im Zeiten des Zusammengehens zwischen Streaming Diensten und Animationsproduzenten. „Spirit – Frei und ungezähmt“ ist dabei ein politisch korrektes Unterfangen des derzeitigen kulturellen Zeitgeistes durchaus im positiven Sinne vor und hinter der Trickkamera. Regisseurin Elaine Bogan und ihr Co-Regisseur Ennio Torresan griffen auf die renommierten Autorinnen Aury Wallington und Kristin Hahn zurück, produziert wurde der Film von Karen Foster unter den herausfordenden Umständen der Corona-Pandemie. Die drei weiblichen Hauptdarstellerinnen spiegeln drei Ethnien der USA wieder, Lucky hat mexikanische Wurzeln, Abigail ist kaukasischer Abstammung, Prudence enstammt afro-amerikanischer Herkunft. Niemand raucht, keiner trägt eine Schußwaffe, kein falsches Wort fällt – der aufgeklärte Zuschauer, bzw. das begleitende Elternteil kann beruhigt sein, eine Menge Kästchen werden spürbar abgehakt auf dem Spreadsheet für eine saubere, „kindgerechte“ Filmunterhaltung, das hier ist an Sterilität grenzender Eskapismus pur. Und dennoch, aufgrund des unzerstörbaren Motivs der Pferdefreundschaft bereut man den Besuch des Kinos nicht, die Bilder der geradezu penetrant in bezauberndes Morgen – oder Abendlicht getauchten Geschichte haben Appeal und machen Freude hinzuschauen, was an einigen Stellen großzügig über die etwas limitierte Animation hinweghilft. Die Story und die Charaktere bleiben liebenswert schlicht und Ergebnis-orientiert, das vergnügliche Erzähltempo des Films hilft dabei mehr als einmal über so manche dramaturgische Klippe hinweg. Dabei sollte der Zuschauer, so es denn geht, den Blick weniger auf die Protagonistinnen des Films richten, sondern die vielsagenden Blicke ihrer Pferde (und Esel) im Auge behalten, die damit in den besten Momenten des Films die Handlung kommentieren. Für den Fan des Franchises sei angemerkt, dass die Geschichte ein Mid-quel darstellt, sie spielt nach dem ersten Spielfilm von 2001 und vor der TV-Serie von 2017 – bzw. ist deren nachträglicher Pilotfilm.

Gewidmet wurde diese fehlerfreie, solide Kinderunterhaltung dem im vergangenen Jahr im Alter von sechzig Jahren viel zu früh verstorbenen Co-Regisseur von „Spirit – Stallion of the Cimmarron“, Kelly Asbury.

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