BUNTER UND FLACHER ALS DIE VORLAGE
Schon als die Realverfilmung von GHOST IN THE SHELL als bloßes Rumoren durch die Internetgemeinde ging, hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend.
Doch wollte ich mich ermahnen, den Filmemachern hinter diesem Projekt eine Chance zu geben. Der Cast versprach einiges. Gerade wegen Takeshi Kitano als Aramaki. Ob Scarlett Johansson einen tiefgründigen Major Motoko Kusanagi mimen könnte? Oder sie in der Manier einer Black Widow quirlige Actionchoerographien abexerzieren würde? Wahrscheinlich erschien eine Mischung aus beidem.
Ebenso kam ich nicht umhin mir Gedanken darüber machen, wieso um Himmels Willen keine asiatische Schauspielering gecastet wurde. (Die Antwort auf diese Frage weiß ich natürlich.)
Und würde das Setting der Vorlage mit all seinen glaubwürdigen Details den Sprung in den Realfilm überhaupt verkraften?
Alsbald wurden aus dem Rumoren in meinem Bauch und meinen Fragen waschechte Zweifel, als ich wenig später las: „Regie: Rupert Sanders„. Dessen einziges mir bekanntes Werk der Film SNOW WHITE & THE HUNTSMAN war. Von all den modernen Fantasy Adaptionen da draußen, war dieser einer der visuell einprägsameren. Das war es dann aber auch schon.
Die Animevorlage unter der Regie von Mamoru Oshii und gleichzeitig auch die Mangavorlage von Masamune Shirow hatten in meinen Augen jedoch mehr verdient, denn als Standard-Popcorn-Kino ein gefälliges Feuerwerk auf der Leinwand abzubrennen und danach wieder in Vergessenheit zu geraten. War der Anime GHOST IN THE SHELL damals doch eine meiner ersten Erfahrungen mit Anime. Und zählt darüber hinaus zu einem meiner durchdringendsten Filmerlebnisse.
Jene Fragen, welche in diesem Film aufgeworfen wurden, beschäftigen mich noch heute.
Dies macht meiner Meinung nach auch die Hauptfaszination um den Kern dieses Anime (Und natürlich auch des Nachfolgers: GHOST IN THE SHELL 2: INNOCENCE.) aus. Nicht etwa die gelungenen Animationen oder die detailierte Glaubwürdigkeit des Settings. Nein, vielmehr sind dies nur Stilmittel, welche es schaffen einen Kanal zum Betrachter zu öffnen. Während man dadurch in den Plot gesogen wird, findet man sich plötzlich in tief philosphischen Diskursen wieder und versucht den Faden bei verzwickten politischen Wirren nicht zu verlieren.
Und gerade diese gewisse Schwere und damit Erfodernis, genau über das Gesehene nachzusinnen warfen bewegende Fragen in mir auf. Zumindest, und das sei ein wichtiger Punkt, wenn man sich für derlei Themen interessiert. Themen wie Bewustsein versus künstliche Intelligenz oder Individuum verus Fusion.
Jener Gehalt kommt jedoch in der jetzigen Neuinterpretation von Rupert Sanders meiner Meinung nach jedoch viel zu kurz. Im Großen und Ganzen geht es zwar immernoch um Fragen nach dem Wert des Ichs in einer cyborgisierten Gesellschaft in welcher Software und Geist miteinander verschmelzen. Besonders schmerzlich vermisst habe ich jedoch den gesamten Handlungsstrang, welcher sich mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzt. Ein elementarer Bestandteil der Vorlage. Dieser wurde in der Realverfilmung in eine Art Familiendrama nebst Menschenexperimente umgewandelt.
Doch wieso eigentlich? Natürlich werden die Riskien für Filmfirmen bei derart großen Produktionen ebenfalls immer größer. Was wiederum in einer allgemeinen Scheu vor Innovation gipfelt. Wir Zuschauer verfügen darüber hinaus über unterschiedliches intellektuelles Rüstzeug und Erfahrungen. Haben auf emotionaler Ebene jedoch viel gemeinsam. Völlig logisch, dass man in diesem Fall eher auf Emotion denn auf Köpfchen setzen möchte. Doch ist das richtig so? Werden wir Zuschauer nicht vielleicht erst durch die immer gleiche Tretmühle auf ein gewisses Schema hinkonditioniert?
Man betrachte nur jene Tatsache, dass es in der Neuauflage unbedingt einen klar definierten Bösewicht geben muss, wie er obendrein klischeehafter nicht sein könnte. Er wirkt für mich wie ein Zugeständnis an etablierte Dramaturgieversatzstücke, aus deren Pool sich die letzten Jahre im Gros der Triple-A-Produktion anscheinend nur noch bedient wird.
Den einen oder anderen Fan dürften hingegen so manche Szenen erfreuen, welche nahezu eins zu eins aus dem ersten oder zweiten Teil der Animevorlagen entnommen und adaptiert wurden. Es stellt sich mir bei näherer Betrachtung dennoch die Frage, ob es rein handwerklich eine gute Idee ist, ein Element aus dem Rhythmus einer bestehenden Komposition herauszuschneiden und in eine völlig neue einzufügen. Denn als neu kann man die Handlung der Realfilmumsetzung bei all den gravierenden Änderungen durchaus bezeichnen, was ja im Grunde genommen ja auch nicht schlecht ist. Man kann schließlich nicht erwarten, dass Inhalte aus dem einen Medium ohne Änderung genauso in einem anderen Medium funktionieren. Ebenso darf man Filmschaffenden ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit nicht absprechen. Bietet diese doch Innovation und Inspiration Und was man hinsichtlich so manchen Designs diesem Film nicht unterstellen sollte, wäre eine Armut an Innovation. Frisch und unverbraucht kommen da viele Ideen daher und begeistern das Auge (Von ein paar handwerklichen Schmitzern einmal abgesehen.). Jedoch sind diese nur optisches Beiwerk. Flitter und Brimborium, während die inneren Werte einfach nicht an die Vorlage heranreichen.
Ganz klar ist: Paramount muss/will Geld verdienen und muss demnach ein möglichst breites Publikum ansprechen, was sich wiederum in vereinfachter und noch emotionalerer Handlung widerspiegelt. Eingefleischten Fans wird der Film wahrscheinlich missfallen. Allen anderen bietet er knapp zwei Stunden unterhaltsames Sci Fi Spektakel gewürzt mit einer milden philosophischen Fragestellung.
Ich werfe an dieser Stelle jedoch einmal die milde Fragestellung in den Raum, was uns da in Zukunft noch so ins Haus steht? Betrachtet man GHOST IN THE SHELL als Prototypen, werden gute Einspielergebnisse die Goldgräberstimmung in Hollywood nach mehr Realfilmadaptionen von Animes schüren. Und selbstverständlich kam auch GHOST IN THE SHELL nicht umhin, das finale Schicksal des Majors so hinzubiegen, dass es ein Sequel mit ihr als Protagonistin ermöglicht.
Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich auf Akira zu freuen.
Stefan Poßner, Parasicma