3. Oktober 2015 Johannes Wolters

Die Indachs-Kritik zu „INSIDE OUT – Alles steht Kopf“ von Michael Knoll

Alles steht Kopf – KRITIK

5 Jahre hat es gedauert, bis PIXAR wieder einen Animationsfilm herausgebracht hat, der nicht nur auf allen Ebenen erhaben ist, sondern auch noch vor kreativer Energie sprudelt. Im Gegensatz zu reinen Disney-Produktionen, welche immer noch auf grenzwertige Prinzessinnen-Filme setzen, oder auf den Comicverfilmungen-Zug mit aufspringen wollen. Mit INSIDE OUT (OT) hat Pete Docter etwas geschaffen, dass nun die legitime Erbfolge von TOY STORY 3 antreten kann: Eine einfallsreiche und angenehm fordernde Geschichte, die ausgewogen emotional daher kommt und eine wichtige Moral (für Groß und Klein) beinhaltet.

Heutzutage müssen Filme aus dem „Family Entertainment“ Bereich eine eierlegende Wollmilchsau sein. Sie müssen Erwachsene und Kinder begeistern; größtmögliche demografische Publikumsschichten erreichen; gut zugänglich sein; witzig, aber auch traurig, aber auch nicht zu traurig; am besten noch einen eingängigen Song beinhalten oder eine kleinkindgerechte Clownsfigur, die überhaupt nichts mit der Handlung zu tun hat und nur für billige Lacher sorgt. Denn diese Filme müssen ihr enormes Budget ($175 Millionen) und noch größeres Werbebudget (wenn man das wüsste…) rechtfertigen. Was bleibt den Machern (die logischerweise unter hohen Druck stehen) anderes übrig, als den einfachen Weg zu gehen und eine gefällige formelhafte Arbeit abzuliefern, die auf altbekannte Muster zurückgreift und diese immer wieder aufwärmt. Das Ergebnis sind Filme wie FROZEN, denen man nicht mal ihre Funktionalität vorwerfen kann, sondern sogar verleitet ist zu sagen: „Der Erfolg gibt ihnen Recht.“ Die Kehrseite dieser Medaille sind allerdings die Dinge, die auf der Strecke bleiben. Mut, Kreativität, Risikobereitschaft. Dinge, die einen Film entweder einmalig machen oder in sich zusammenfallen lassen. Kein sicheres Pferd also, und umso erfreulicher das INSIDE OUT genau diesen Weg gegangen ist.

Er traut jüngeren Sehern etwas zu, versucht abstrakte Vorgänge (im wahrsten Sinne des Wortes) zu verbildlichen und bietet auch den älteren Zuschauern die größtmögliche Empathiefläche. Denn der Film spielt mit der universellen Frage, warum wir in unserem Leben nicht nur Freude, sondern auch Kummer ertragen müssen? Und [SPOILER] er liefert uns die (welch eine Überraschung) Antwort, dass Freunde nur durch Kummer existieren kann bzw. erst durch Kummer wertvoll wird. Diese Aussage wird jedoch so geschickt in die Handlung eingewoben (und zu meiner vollkommen Überraschung, nicht einmal ausgesprochen, sondern auch als Teil des Erkenntnisprozesses dargestellt), dass die Macher sich nicht scheuen, düstere und sogar gruselige Szenen und Sequenzen einzubauen, um den beschriebenen Klimax zu erreichen. Hierbei spielen sie mit allgemeinen Kindheitstraumata wie Clowns, bis hin zur größten Angst, des vollständigen Vergessens von Erinnerungen. Die Hauptfiguren (personifizierte Charaktere von Freude und Kummer), müssen (neben den unzähligen witzigen Sequenzen) auch diesen düsteren Pfad beschreiten, der nicht ohne Verluste verläuft, um am Ende die Moral auch wirklich zu erlernen.
Nichts wäre schlimmer, als zu versuchen Kinder vor der dunklen oder traurigen Seite des Lebens (und damit auch einer Geschichte) zu schützen, indem man diese entfernt. Die Moral hat nur ihren Wert, wenn sie am Ende des dunklen Waldes liegt und man auf seinem Pfad auch etwas riskiert oder gar verloren hat. Erst dann ist sie wirklich etwas Wert. Das wird nicht nur junge Zuschauer in den Bann der Geschichte ziehen, sondern auch ältere, die, Dank der Struktur von personifizierten Gefühlen auf der einen Seite und den äußeren Einflüssen bei den Menschen auf der anderen Seite, einen realistischen Einblick ins Gefühlsleben von Kindern erhalten.

INSIDE OUT erinnert daran, aufeinander zu achten und alle Emotionen (im ausgewogenen Maße) zuzulassen und am Ende gemeinsam Freude zu empfinden. Und genau das, so hoffe ich, wird auch jeder Zuschauer so sehen.

Michael Knoll

Drehbuchautor, Leipzig

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