„Man kennt seinen Namen vielleicht nicht, aber mit Sicherheit kennt jeder Howard Ashmans Musik“, sagt Regisseur, Autor und Produzent Don Hahn. „Er ist einer der großartigsten Geschichtenerzähler des 20. Jahrhunderts, der dabei geholfen hat, amerikanische Musicals wiederzubeleben und Disney Animation neuen Glanz zu verleihen. Er hinterließ uns ein Liederbuch, das bis heute mit uns weiterlebt, doch seine persönliche Geschichte wurde bisher nie vollständig erzählt“.
Der Film enthält Interviews mit Alan Menken, der lange Zeit gemeinsam mit Ashman an vielen Musicals gearbeitet hat und auch die Musik des Dokumentarfilms kreiert hat, Bill Lauch (Ashmans Partner), Jodi Benson („Arielle, die Meerjungfrau“), Paige O’Hara („Die Schöne und das Biest“), Sarah Gillespie (Ashmans Schwester) und vielen weiteren.
„Howard“ wurde von Don Hahn und Lori Korngiebel für Stone Circle Pictures produziert und ist ab Freitag, 7. August exklusiv auf Disney+ zum Streamen verfügbar.
Eine Film-Doku über einen modernen Künstler zu produzieren, ist eine Herausforderung. Man erzählt sie einem Publikum, das vielleicht kaum oder wenig das Oeuvre des Künstlers kennt und deswegen keinerlei Erkenntnisinteresse an der Biografie des Autor hegt. Oder aber das Oeuvre überstrahlt den Autor derart, dass man seine Existenz gar nicht erst vermutet. Bleiben wahre Fans und Kenner, die sind aber eh via Websites, Clips und Blogs im Internet hinlänglich vertraut mit dem Thema und bemängeln allenfalls Lücken und Raffungen.
Warum also die Mühe? Weil es sich eben doch manchmal lohnt, durch die Augen von Zeitzeugen die Zeitumstände, den Kontext und damit Werk und Autor in einer Art und Weise emotional erfahrbar zu machen, dass man sich nach dem Anschauen der Dokumentation reicher, klüger und besser fühlt.
Die mit 95 Minuten viel zu kurze Dokumentation „Howard“ von Don Hahn ist solch ein bemerkenswerter Glücksfall für das Genre Dokumentarfilm, lässt sie doch Autor und Song-Texter Howard Ashman (1950-1991) und dessen Zeit auferstehen. Sie erklärt unaufdringlich, prägnant und ohne Pathos, den Weg zu den drei großen Disney-Filmen „The Little Mermaid“, „Beauty and the Beast“ und „Aladdin“, die den modernen Zeitgeist der Populärkultur prägten, nein prägen. Das Wissen um den schockierend frühen Tod mit nur 40 Jahren rahmt dabei die Dokumentation und legt eine bemerkenswerte melancholische Stimmung über Don Hahns Film.
In „Howard“ erzählen Familienmitglieder, Freunde, Mitarbeiter, Arbeitgeber und Bekannte die Lebensgeschichte von Howard Elliott Ashman, der am 17. Mai 1950 als Sohn einer jüdischen Familie in Baltimore, Maryland geboren wurde. Berührend die Erinnerungen von seiner jüngeren Schwester, die sein erstes „bestes Publikum“ war, wenn er ihr Geschichten erzählte und vorspielte. Sein Talent für Tanz, Schauspiel, Geschichten wird von seinen Eltern gefördert und Ashman geht als erster seiner Familie zum College und anschliessend zur Universität. Er entdeckt seine Homosexualität und kommt nach Abschluss der Universität in den 1970er Jahren nach New York. Er schlägt sich als Lektor, Autor und Redakteur durch und baut mit seinen Freunden ein kleines Off Off Broadway Theater auf. Dort arbeitet er 1979 das erste Mal mit dem jungen Komponist Alan Menken zusammen. Kurt Vonnegut wird auf das Theater, die Theatermacher aufmerksam und gemeinsam entsteht das Musical „God Bless You, Mr Rosewater“. Nach dem mäßigen Erfolg des Stücks, wendet sich Ashman einer Musicalfassung eines kleinen, schmutzigen Roger Corman-Horrorfilms namens „Little Shop of Horrors“ zu. Das gleichnamige Musical entwickelt sich zu einem Broadwayhit und wird 1986 erfolgreich verfilmt. Howard Ashmans geniales Talent für Storytelling und Songtexten weckt das Interesse von der neuen Führung der Disney Studios. Jeffrey Katzenberg läd Ashman ein, an neuen Projekten des Animationsstudios mitzuwirken. So beginnt die Arbeit an „Arielle – Die kleine Meerjungfrau/Little Mermaid), an „Die Schöne und das Biest“ und „Aladdin“, den drei großen Animationsfilmen, die die Renaissance der Animation einläuten.
Die am New Yorker Broadway erlernten Fähigkeiten trafen im perfekten Moment auf ein Animationsstudio, das die Fähigkeiten verloren hatte, moderne, smarte Märchen zu erzählen. Es folgten Grammys, Oscars, Golden Globes, Anerkennungen, Ehrungen. Bereits während der Arbeit an „Arielle“ wurde eine AIDS-Erkrankung bei Ashman diagnostiziert, der er auf dem Höhepunkt seines Erfolgs am 14. März 1991 erlag.
Regisseur Don Hahn schuf mit „Howard“ eine Art Fortsetzung zu seinem Dokumentarfilm „Waking Sleeping Beauty“ (2009), einem faszinierenden Insider-Look auf die Disney-Renaissance von „Arielle“ bis „König der Löwen“. Hahn war unter anderem Produzent von „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“, „Nightmare before Christmas“ und ist der einzige Animationsfilmproduzent, der jemals mit einer Oscarnominierung für den Besten Film ausgezeichnet wurde – eben für „Die Schöne und das Biest“. In „Howard“ setzt er meisterhaft Interviews, Statements, Erinnerungen aus den verschiedensten Dekaden kaleidoskopartig zu einem großen Ganzen zusammen. Und es ist natürlich Hahns bewundernde Blick auf den früheren genialen Mitarbeiter, der den Ton der Dokumentation setzt. Niemals aber um die Bedeutung des eigenen Schaffens zu betonen oder das der Disney Company, eher geht es um das Privileg, mit einem solchen Ausnahmetalent zusammengearbeitet zu haben.
Und die verschiedenen Blickwinkel auf Howard Ashman lassen den als Persönlichkeit wieder zum Leben erwachen und nachvollziehbar werden. Kombiniert wird das auf der visuellen Seite mit Fotografien, Familienfilmen, raren Videomaterial aus den Disney- und zahlreichen weiteren Film-Archiven, Ausschnitten aus den Trickfilmen. Dabei gelingt Don Hahn auch der Drahtseilakt, eine Balance herzustellen zwischen dem Werk, dem Privaten, dem Beruflichen, dem gesellschaftlichen Druck, dem historischen Umfeld. Viele Details, viele Fragen können in 95 Minuten nur angerissen werden, Fragen zum Wechselspiel zwischen Handwerk und Kreativität, Fragen zu kreativen Spannungen zwischen Künstler und Geldgeber, Fragen über aufbrausende Temperamente und den Preis für Perfektion. Doch dafür gibt es weiterführende Literatur, das Internet, weitere Filme. Was der Film leistet, ist den Menschen „Howard“ hinter seinem Werk hervorzuholen und einen wunderbaren Moment Öffentlichkeit zu schenken. Hahn baut dabei seinem früheren Arbeitskollegen kein posthumes, glorifizierendes Denkmal, sondern erschafft einen bezaubernden Nachruf auf einen der bedeutendsten Geschichtenerzähler des 20. Jahrhunderts. Der einer Meerjungfrau ihre Stimme gab und einem Biest seine Seele.
Weiterführende Links:
Howard Ashman Blog: https://www.howardashman.com/
Don Hahn Webseite: https://www.donhahn.com/
HOWARD – Film Webseite: http://www.howardmovie.com/